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Eisrausch am Klöntaler See

Die Eisgewinnung am Klöntalersee war harte Knochenarbeit • Bild: Landesarchiv Kanton Glarus

Dossier Wasser • Der Klöntaler See ist nicht nur eines der schönsten sondern auch der grösste Gewässer im Glarnerland, das ausschliesslich auf Kantonsgebiet liegt. Jeden Winter bildet sich eine dicke Eisschicht über dem See. Im 19. Jahrhundert galt der Klöntaler See deshalb als bestes Eisreservoir der Schweiz.

DOSSIER

Seit Mitte August publizierte der neue Public Newsroom des Kanton Glarus 14 Wochen an jedem Sonntag ein Artikel zum Thema «Wasser». Hier lesen Sie die letzte Folge. 

Wenn sich eine dicke Eisschicht über dem Klöntalersee bildet, treffen sich heute Wintersportbegeisterte zum Eistauchen, Eisklettern und Schlittschuhlaufen. Doch noch bis in die 1950er-Jahre wird auf dem zugefrorenen See schwer geschuftet, genauer gesagt «gegletschert». Werfen wir einen Blick zurück ins 19. Jahrhundert: 

Die Bedingungen für die Eisgewinnung sind im Klöntal perfekt. Denn nur bis etwa Mitte November reichen die Sonnenstahlen bis ins Tal hinab. Danach streicht sie für 100 Tage nur noch hoch oben den Felswänden entlang. Unten bleibt es schattig und kalt. 

Die tonnenschweren Eisblöcke werden per Pferdeschlitten nach Glarus und Netstal transportiert • Bild: Landesarchiv Kanton Glarus

Im Januar, wenn die Eisdecke auf dem Klöntalersee mindestens fünfzig Zentimeter dick ist, herrscht auf dem See reges Treiben. Männern in schweren Mänteln, klobigen Schuhen und Pelzkappen fahren mit von Pferden gezogenen Holzschlitten aufs Eis. Nachdem sie mit Schwarzpulver ein Loch in die Decke gesprengt haben, beginnt die Schufterei. Ausgerüstet mit Sägen, dessen Blätter so manchen Arbeiter an Länge überragen, schneiden die Männer massive Eisblöcke heraus. Mit Seilen und Haken werden diese danach über Holzschienen auf Pferdeschlitten geladen und nach nach Glarus oder Netstal gebracht. Hier wird das Eis verteilt. Ein Teil wird auf die Bahn verladen, mit der das Eis bis nach Köln, Paris und Marseille gebracht wird. Der andere Teil wird in Gletscherhütten eingelagert. Denn Eis ist rund ums Jahr gefragt. Nicht nur Bierbrauereien, Hotels, Restaurants oder Konditoreien gehören zu den Abnehmern, auch Spitäler oder sogar Ozeandampfer sind treue Kunden. 

Auf dem Höhepunkt des Glarner Eis-Rushs (1862–1953) ist das Eis aus dem Klöntalersee in ganz Europa heiss begehrt. Der Bedarf ist enorm: Um das Jahr 1890 werden täglich bis 300 Schlitten verladen. Auch bei den Einheimischen ist das Gletschern beliebt, verschafft es den Bauern doch während der Winterzeit einen willkommenen Nebenverdienst.

Die Eisgewinnung war im Winter eine willkommene Arbeit für viele Glarner Bauern • Bilder: Landesarchiv Kanton Glarus

Mit der Erfindung des Kühlschranks in den 1930er-Jahren nimmt die Nachfrage nach Natureis in Glarus konstant ab. Im Januar 1953 wird das letzte Mal Eis in die Keller der Brauerei Wädenswil in Glarus geliefert. 

Der historische Film

Der Glarner Fotograf Hans Schönwetter hat mit dem Dokumentarfilm über die Eisgewinnung auf dem Klöntalersee 1953 ein eindrückliches Zeitdokument geschaffen. Knapp 60 Jahre später erweckt der Hotelier und Hobbyfilmer Fredy Leuenberger den Stummfilm zu neuem Leben. In aufwendiger Recherchearbeit sammelt er über Monate Geräusche im Internet zusammen und fügt dem Film eine Tonspur hinzu. «Die eine oder andere Knacknuss war da schon dabei. Denn wie klingt eine Kette, die unter einen Schlitten geworfen wird, oder Eis, das über einen Holzbalken schleift?», fragt der Besitzer des «Glarnerhofs» lachend. Auf die Idee der Vertonung brachte ihn sein Schwiegervater Hans Feldmann, der als Bub bei der Natureisgewinnung selbst noch Hand angelegt hat. 

Text: Anina Rether • Bilder: Landesarchiv Kanton Glarus

 

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