Direkt zum Inhalt springen

Wir sind Landsgemeinde: Wie der Landrat zum Frosch kam

Grasfrosch
Für die einen willkommener Insektenvertilger, für die anderen selbst eine Delikatesse • Foto: Richard Bartz

Staatskanzlei • Aus der Geschichte kann man lernen. Der Public Newsroom gl.ch blickt in loser Reihe zurück auf bemerkenswerte Entscheide der Glarner Landsgemeinde. Aktuelle Folge: Weshalb es der Landrat 1955 mit Fröschen zu tun bekam.

Von André Maerz, Public Newsroom gl.ch

«Der Frosch ist auf dem Gebiete des Kantons Glarus als geschütztes Tier zu erklären.» Dies forderte ein Memorialsantrag 1955.

Nahrungsanbau zerstörte Nahrungsgrundlage

Bidermann
Gemälde von Johann Jakob Bidermann (1787).
Sumpflandschaft Linthebene
Die Linthebene war vor der Flusskorrektur und den Meliorationen eine grosse Sumpflandschaft, idealer Lebensraum für Amphibien • Foto; Landesarchiv

Begründet wurde der Antrag mit der starken Reduktion des Froschbestandes während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Bereits 1921 lagen erste Projekte vor, um die brachliegenden versumpften Böden im Linthgebiet zu entwässern und urbar zu machen. Die geplante Gewässerkorrektion, die Güterzusammenlegungen und eine gezielter Besiedlung wurden aber erst in den 1940-er Jahren umgesetzt, im sogenannten «Plan Wahlen», auch als Anbauschlacht bekannt. Dieser steigerte die nationale Lebensmittelproduktion und verbesserte den Selbstversorgungsgrad im Krieg von 52 auf 59 Prozent.

Genau diese Bodenverbesserungen jedoch verschlechterten die Nahrungsgrundlage für Frösche und engten deren Lebensraum massiv ein. Ein Rückgang der Froschbestände war die logische Folge. Lebensmittelknappheit sorgte darüber hinaus dafür, dass Fröschen zur Gewinnung von Froschschenkeln nachgestellt wurde. Diese Jagdmethoden waren allerdings schon damals in weiten Kreisen als Tierquälerei verpönt.

Das Landsgemeindememorial 1955 weist deutlich auf die Nützlichkeit des Frosches als grosser Insektenvertilger hin. Darum setzten die Kantone Schwyz, Schaffhausen und Zürich bereits Schutzmassnahmen um.

Weniger natürliche Feinde

Der Glarner Landrat hingegen konstatierte, dass in Gebieten mit froschfreundlichen Lebensbedingungen der Bestand keineswegs gefährdet sei, weil damals natürliche Froschfeinde wie z. B. der Storch und andere Sumpfvögel ausgerottet waren. Der Landsgemeinde wurde deshalb eine Kann-Regelung vorgeschlagen: «Der Landrat ist ermächtigt, den Fang von Fröschen ganz oder gebietsweise zu verbieten.»

«Patent zum Fröschnen»

Im Ring auf dem Zaunplatz führte Albert Fischli 1955 aus, dass es «im Oberseetal viel zu viele Frösche» gäbe, wenn deren Fang eingeschränkt oder gar verboten würde. Er setzte sich für die Einführung eines Patentes ein, zu 4.50 Franken für Kantonseinwohner und 8.50 Franken für Auswärtige. Auch Maurer Albin Lehmann aus Ennenda wandte sich gegen ein Verbot des «Fröschnens». Er erklärte der Landsgemeinde die Technik des Froschfanges und argumentierte ebenfalls für die Einführung eines Patentes. Die Landsgemeinde stimmte dann aber dem landrätlichen Antrag gemäss Memorial zu. Und so kam der Landrat auf den Frosch, bzw. wurde er ermächtigt das Fröschnen zu erlauben, einzuschränken oder zu verbieten.

Froschfangmoratorien

1956 verhängte der Landrat ein zweijähriges kantonsweites Fangverbot von Fröschen, damit sich die stark reduzierten Bestände wieder erholen könnten. Alle Gemeinden ausser Näfels hatten sich dafür ausgesprochen.

Es musste die Feststellung gemacht werden, dass Frösche auf grausame Art und Weise umgebracht worden sind oder in den Säcken teilweise elendiglich zu Grunde gingen.

Auf Antrag des Regierungsrates wurde das Fangverbot 1958 um weitere zwei Jahre verlängert, nachdem selbst Bussen bis 100 Franken (das wären heute über 400 Franken) die Fröschner aus Glarus, St. Gallen und Graubünden am Obersee und Talalpsee nicht abschreckten. Aus dem Antrag des Regierungsrates: «Drei Verzeigte wurden mit je über 1000 lebenden Fröschen, die sie in Säcke gestopft hatten, am Obersee getroffen. Auch aus der Gegend des Talalpsees wurden anlässlich von polizeilichen Kontrollen mehrere Hunderte von Fröschen beschlagnahmt und, sofern sie noch am Leben waren, wieder dorthin zurückgebracht. Es musste die Feststellung gemacht werden, dass Frösche auf grausame Art und Weise umgebracht worden sind oder in den Säcken teilweise elendiglich zu Grunde gingen.»

1960 und 1965 wurde das Froschfangverbot vom Landrat jeweils um fünf Jahre verlängert. Danach profitierte der Frosch vom Schutz der nationalen und kantonalen Gesetzgebung. Seit 50 Jahren gilt im Kanton das Gesetz über den Natur- und Heimatschutz, welches in den Vollzugsbestimmungen alle Lurche und Frösche unter Schutz stellt.

Und heute?

Gefährdung
  • Gemäss Bundesamt für Umwelt gehören Frösche und Kröten in der Schweiz zu den am meisten gefährdete Tiergruppen. Künstlich veränderte Gewässer, das Trockenlegen von Feuchtgebieten sowie die Zunahme von Strassen und Autos führten dazu, dass mittlerweile praktisch sämtliche einheimischen Amphibien auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen.
Naturschutzgebiete
  • Seit den 1980er Jahren wird versucht, mit Renaturierungsprojekten wie etwa im Chli Gäsischachen, Feldbach Mollis oder im Schwändital bessere Bedinungen für Amphibien zu schaffen. Die Schaffung einer solchen ökologischen Infrastruktur ist ein Generationenprojekt – wie seinerzeit die Meliorationen.
  • Ein hängiger Memorialsantrag verlangt eine aktive Förderung der Biodiversität.
  • Für einheimische Pflanzen dramatisch ist die im Obersee grassierende Wasserpest, während sie für die Fortpflanzung der Frösche eher Vorteile bringt.   
Unerwünschte Invasoren
  • Alles andere als bedroht ist der südeuropäische Seefrosch. Seit den 1970-er-Jahren nimmt er im benachbarten Rheintal immer mehr Lebensräume in Beschlag, verdrängt einheimische Amphibien und bringt mit seinem lauten Gequake Anwohner um den Schlaf. Der lärmige Immigrant startete seine Invasion möglicherweise, als in Sargans einigen Tieren die Flucht aus einem Bahntransport gelang. Sie wollten wohl nicht als Froschschenkel in der Pfanne landen...
In der Pfanne
Bon appétit?
  • Der Import von lebenden Fröschen zum Verzehr oder von Froschschenkeln ist in der Schweiz legal. 2010 wurden gemäss Eidgenössischer Zollverwaltung etwa 150 Tonnen Froschschenkel in die Schweiz importiert (siehe auch Interpellation Nationalrat, 2009).
  • Der Bundesrat prüft aktuell, ob u. a. die Deklaration von Froschschenkeln verbessert werden soll.
  • In die Schweiz importierte Froschschenkel stammen aus der Türkei oder Südafrika und kosten heute rund 20 Franken pro Kilo – je nach Grösse und Schnitt («gerade» oder «Yoga»).

Wir sind Landsgemeinde

Diese lose Serie über bemerkenswerte Entscheide der Glarner Landsgemeinde entsteht in Zusammenarbeit mit alt Ratssekretär und Fahrtsbrief-Verleser Josef Schwitter aus Näfels sowie Beat Mahler vom Landesarchiv. Die Texte von Roland Wermelinger und André Maerz lehnen sich an das jeweilige Landsgemeinde-Memorial und an die Landsgemeindeprotokolle an. 

«Wir sind Landsgemeinde» - Alle Folgen 
Mehr zur Glarner Landsgemeinde   

  • Seite drucken
  • zum Seitenanfang