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Wir sind Landsgemeinde: Ein Abzeichen als Stimmrechtsausweis?

Stimmrechtsausweis, wie er nach 1921 ausgestellt wurde • Landesarchiv Glarus

Staatskanzlei • Aus der Geschichte kann man lernen. Der Public Newsroom gl.ch blickt in loser Reihenfolge zurück auf bemerkenswerte Entscheide der Glarner Landsgemeinde. Heute: Wie Auswärtige im Ring vom Wählen und Abstimmen abgehalten werden sollten.

Von André Maerz, Public Newsroom gl.ch

Schon 1895 und 1896 war der Landsgemeinde beantragt worden, einen «Stimmberechtigungsausweis» einzuführen. Vergeblich. 1921 griff der kantonale Grütliverein das Thema erneut auf, weil – so das Memorial von 1921 – «an der letzten Landsgemeinde zweifelsohne eine grosse Anzahl Männer stimmten, die nicht stimmberechtigt waren.»

1895 war die Einführung eines Landsgemeindeabzeichens für die Stimmberechtigten vorgeschlagen worden, was aber aus Praktikabilitäts- und Kostengründen damals verworfen wurde. Hingegen wurde 1896 eine Busse von 5 bis 20 Franken für die unberechtigte Stimmabgabe an der Landsgemeinde festgelegt. Davon versprach man sich genügende Kontrolle im Ring, weil damals auch derjenige einen Anteil an der Busse erhielt, welcher einen Verstoss meldete (vgl. auch «Weg mit Denunzianten»).

Wer war überhaupt stimmberechtigt?

Stimmberechtigt waren länger als drei Monate im Kanton wohnhafte Männer über 20. Nicht stimmberechtigt waren – neben Auswärtigen, Gästen und Jungen – gemäss Memorial «wegen Verschwendung, Geisteskrankkeit oder Blödsinn» Bevormundete, Personen denen wegen eines Verbrechtens per Gerichtsurteil das Aktivbürgerrecht entzogen wurde, oder Armengenössige, die durch «liederlichen Lebenswandel» dauernd von der öffentlichen Hand lebten.

Jedermann, ob stimmberechtigt oder nicht, konnte den Ring ohne weiteres betreten. Zugangskontrollen hielten Regierung und Landrat für viel zu aufwendig. Und ein Abzeichen – sei es nun «eine Rosette oder Kokarde oder ein Säbel» wie im Kanton Appenzell – hätte gemäss Memorial «wohl nie auf Sympathien des Volkes rechnen dürfen, das seit Jahrhunderten ohne solche Abzeichen gelandsgemeindet hat, und das darin sicher keine Mehrung der Würde und Hoheit der Landsgemeinde erblickte.»

Ermahnungen und höhere Bussen

Weil ein Stimmberechtigungsabzeichen nicht umsetzbar sei, sollten aber wenigstens die Bussen für unberechtigtes Wählen oder Abstimmen erhöht werden.  Zudem solle zu Beginn der Landsgemeinde der Ratsschreiber die Vorschriften über die Ausübung des Stimmrechts an der Landsgemeinde verlesen, so dass keiner sagen könne, er habe von nichts gewusst.

Volk wollte ein Abzeichen...

Bussenerhöhung und Verlesung der Vorschriften wurden von der Landsgemeinde 1921 gutgeheissen. Aber die Landsgemeinde bestand - «mit schwacher Mehrheit» – zusätzlich auf einem Abzeichen, bestehend aus einem kleinen Schild mit dem eingravierten Bild des Landespatrons Fridolin. Es sei befremdlich, dass man Zugang zu Gemeindeversammlungen nur mit einem Stimmrechtsausweis erlange, aber zum höchsten politischen Gremium, der Landsgemeinde, freien, unkontrollierten Zugang habe.

... Landrat wollte einen Ausweis

Der mit der Umsetzung beauftragte Landrat setzte widerwillig eine Kommission ein («Wir halten nach wie vor an der Überzeugung fest, dass der Stimmrechtsausweis sich als Kontrollmittel an der Landsgemeinde untauglich und lästig erweise und eine unnötige Erschwerung der Teilnahme der Stimmberechtigten an der Landsgemeinde mit sich bringe»).

… mittelst eines farbigen Schnürchens am Knopfloch befestigt, bietet in ästhetischer Hinsicht keine Befriedigung.

Knackpunkt war – neben organisatorischen Vorbehalten – die Sichtbarkeit des Ausweises oder Abzeichens. Auf die Idee, wie heute üblich, nur durch Hochheben des Ausweises abstimmen zu kommen, kam man 1921 nicht. Vielmehr wurden in der regierungsrätlichen Botschaft in erster Linie Argumente vorgebracht, welche gegen ein Abzeichen sprachen: «Ein Ausweis in Form einer Kartonscheibe von ca. 10 cm. Durchmesser, welche mit passendem Aufdruck versehen und mittelst eines farbigen Schnürchens am Knopfloch befestigt werden könnte, bietet in ästhetischer Hinsicht keine Befriedigung.»

Und auch die Kosten waren nicht ohne: Für 9000 Stimmberechtigte (damals gab es noch kein Frauenstimmrecht wären Kosten von bis zu 18'000 Franken angefallen. Das war damals viel Geld, die Kosten für ein einzelnes Abzeichen entsprachen einem Hilfsarbeiter-Tageslohn!

Die Kommission holte Offerten für verschiedene Arten von Abzeichen ein (Metall, Email, Stickerei auf Stoff, Celluloid). Im Landrat benötigte man für die Auswahl mehr als ein Dutzend Eventualabstimmungen (Material, Glarner oder externer Hersteller, Abgabe gratis oder zum Selbstkostenpreis usw.). Zwar einigte sich der Rat für ein Metallabzeichen mit dem Fridolinsujet der Firma Huguenin Frères in LeLocle, doch in der Schlussabstimmung wurde die Idee des Abzeichens verworfen, zugunsten eines simplen Stimmrechtsausweises aus Papier.

In der Folge erliess der Regierungsrat ein Reglement für einen Stimmberechtigungsausweis. Die unausgefüllten Vordrucke wurden den Gemeinden zugestellt, welche dann aufgrund ihres Registers die Namen einsetzten und die Ausweise mit dem Gemeindestempel legitimierten. Geregelt sind darin auch die Gültigkeit, der Ersatz bei Verlust, die Busse bei Missbrauch.

Und heute?

Das System des Stimmrechtsausweises gilt im Grundsatz bis heute. Die Gemeinden stellen die vom Kanton zur Verfügung gestellten Blanco-Ausweise auf die Namen der Stimmberechtigten aus (Bild: Blanco-Ausweise, wie sie bis 2005 verwendet wurden). Die Ausweise werden an den Zugängen zum Ring kontrolliert. Weitgehend unverändert ist auch die Verlesung der Vorschriften über die Ausübung des Stimmrechts durch den Ratsschreiber-Stellvertreter vor der Behandlung der Landsgemeindegeschäfte. 

Landsgemeinde Abstimmung

Seit 2005 werden die Stimmrechtsausweise jährlich auf buntes Papier gedruckt und dienen während der Landsgemeide als optische Hilfe für den Landammann bei den Abstimmungen. Damit ist elegant auch die über 100 Jahre alte Forderung vom Tisch, dass nur Stimmberechtigte abstimmen können. So berichtete das Schweizer Fernsehen SRF über die Neuerungen.

Unberechtigtes Abstimmen ist heute also kaum möglich. Allerdings wurde sporadisch die Forderung nach Abstimmungsalternativen laut, welche die Landsgemeinde von einem grundsätzlichen Makel befreien könnten: Der Zugang zur politischen Entscheidung steht einem Teil der Stimmberechtigten nicht offen, weil sie nicht physisch an der Landsgemeinde teilnehmen können.

Wir sind Landsgemeinde

Diese lose Serie über bemerkenswerte Entscheide der Glarner Landsgemeinde entsteht in Zusammenarbeit mit alt Ratssekretär und Fahrtsbrief-Verleser Josef Schwitter aus Näfels. Die Texte von Roland Wermelinger und André Maerz lehnen sich an das jeweilige Landsgemeinde-Memorial und an die Landsgemeindeprotokolle an. 

> Überblick über alle bisherigen Folgen

> Mehr zur Glarner Landsgemeinde

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