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Wir sind Landsgemeinde: Weg mit Denunzianten!

Wirtshausszene historisch Kartenspiel
Wer erfolgreich eine Klage wegen Übertretung der Polizeistunde einleitete, konnte am Bussgeld mitverdienen • Symbolbild Keystone

Staatskanzlei • Aus der Geschichte kann man lernen. Der Public Newsroom gl.ch blickt in loser Reihenfolge zurück auf bemerkenswerte Entscheide der Glarner Landsgemeinde. Heute: Wie die Landsgemeinde 1918 dem gesetzlich geregelten Denunziantentum, dem sogenannten «Verleideranteil», den Garaus machte.

Von André Maerz, Public Newsroom gl.ch
 

Bis zur Landsgemeinde 1918 galten im Glarnerland (wie auch in einigen anderen Kantonen) Strafgesetze, wonach verhängte Bussen nicht einfach in die Staatskasse, sondern zu einem Viertel an die Amtsperson (z. B. den Landjäger) ausbezahlt wurden. Brachte eine Privatperson einen Mitbürger erfolgreich zur Anzeige, dann erhielt sie den «Verleideranteil», die Hälfte des Bussgeldes als Belohnung.

Der grösste Lump im ganzen Land, das ist der Denunziant.

Die sozialdemokratische Partei des Kantons Glarus wollte das ändern und reichte einen Memorialsantrag ein: «Revision der kantonalen Strafbestimmungen in dem Sinne, dass die Klausel – die Hälfte der Busse fällt dem Anzeiger zu – (Verleideranteil) aus denselben [kantonalen Strafbestimmungen], wie von den Verbotstafeln zu entfernen sei.» Der Antrag wurde mit folgenden Ausführungen begründet: «Als Grundlage für unseren Antrag möchten wir das Motto anführen: Der grösste Lump im ganzen Land, das ist der Denunziant.» 

Rückwärtserziehung

Landrat und Regierungsrat wollten von diesem Vorstoss nichts wissen. Zwar wurde durchaus konstatiert, «dass der Hass und der Neid im tagtäglichen Leben spielen und gerade in unserem Gerichtswesen hinein charakteristisch wirken», aber wirklich stringent war die Argumentation nicht: «Einen erzieherischen Wert kann eine Denunziation nie in sich bergen, es sei denn eben eine Rückwärtserziehung.»

Landjäger
Landjäger Jost Zweifel (1872–1950)
Foto: Landesarchiv Glarus

Lohnbestandteil

Vor allem verwehrte sich der Landrat generell gegen den Begriff Denunziant. Wenn ein Landjäger jemanden verzeige, dann könne man nicht von einem Denunzianten sprechen, weil er ja einerseits nur seiner Pflicht nachkomme und anderseits sein Anteil an der Busse (ein Viertel des Betrages) ein normaler Lohnbestandteil sei. Bereits 1911 war vorgeschlagen worden, die Löhne der Landjäger zu erhöhen und im Gegenzug den Bussgeldanteil gänzlich zu streichen. Der Vorstoss scheiterte im Landrat mit 49 zu 3 Stimmen. Hingewiesen wurde im Memorial auch auf die Gesetzgebung in anderen Kantonen und beim Bund (insb. Jagd und Vogelschutz), wo Bussenanteile zum Teil auch vorgesehen waren.

Immer diese Überhöckler

Im Memorial wird vermutet, dass der Memorialsantrag seinen Ursprung in Wirtshäusern habe: «Am zahlreichsten sind wohl die Klagen wegen Übertretung der Polizeistunde und von dieser Seite wird wohl auch am meisten gegen den Bussenanteil der Landjäger Opposition erhoben.» Anderseits könne konstatiert werden, dass trotz dieses Bussenanteils in der Sache offenbar «eher zu wenig als zu viele Klageeinleitungen stattfinden und eine noch laxere Handhabung der einschlägigen Gesetzesvorschriften vermieden werden sollte.»

Und dem Landrat schwante noch Schlimmeres: «Der Antrag der Eingeber geht übrigens noch viel weiter, indem derselbe den sogenannten Verleider-Anteil gänzlich, also auch für Privatklagen, abschaffen will. Wir fürchten bei Annahme eines solchen Antrages eine ernste Gefährdung einer wirksamen Handhabung von Gesetz und Ordnung in unserem Kanton.»

Bessere Besoldung

An der Landsgemeinde trat gemäss Protokoll ein Redner für den Antrag auf Abschaffung der Bussenanteile ein. Die Klageerhebung solle bei den Polizeiorganen aus Pflichtbewusstsein und nicht aus Erwerbsgründen erfolgen. An die Stelle der Prämierung der einzelnen Klage sei die angemessene Besoldung des Polizeikorps für die Pflichterfüllung zu setzen. Der Redner beantragte, es seien die durch die kantonale Gesetzgebung festgesetzten Bussenanteile sowohl für Amt- als auch Privatpersonen ausser Kraft zu setzen. Dieser Beschluss solle sofort nach erfolgter Neuordnung der Besoldungsverhältnisse des Polizeikorps – wobei der Wegfall der Bussenanteile zu berücksichtigen sei – in Kraft treten. Dieser Antrag wurde «in der Abstimmung gegenüber dem landrätlichen Antrage mit grosser Mehrheit zum Beschlusse erhoben».

Abschrift Memorial und Protokoll Landsgemeinde 1918 / §12 «Abschaffung Bussgeldanteile»

Und heute?

Die Verteilung von Bussgeldern an kantonale Behörden oder gar Privatpersonen als Ansporn für Anzeigen ist seit dem Landsgemeinde-Beschluss von 1918 im Kanton Glarus vom Tisch. Die Auslagerung von Kontrollaufgaben an private Sicherheitsfirmen (z. B. zur Kontrolle der Einhaltung der Parkiervorschriften) ist nicht provisioniert durch Anteile an erzielten Bussgeldsummen.

Im Strafrechtsbereich bestünde für Gerichte gestützt auf Artikel 73 StGB die Möglichkeit, eine vom Verurteilten bezahlte Busse (oder Geldstrafe) dem Geschädigten zuzusprechen. Das hätte allerdings eher Schadenersatz- bzw. Genugtuungscharakter. 

Wir sind Landsgemeinde

Diese lose Serie über bemerkenswerte Entscheide der Glarner Landsgemeinde entsteht in Zusammenarbeit mit alt Ratssekretär und Fahrtsbrief-Verleser Josef Schwitter aus Näfels. Die Texte von Roland Wermelinger und André Maerz lehnen sich an das jeweilige Landsgemeinde-Memorial und an die Landsgemeindeprotokolle an. 

> Überblick über alle bisherigen Folgen

> Mehr zur Glarner Landsgemeinde

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