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Glarner Landsgemeinde sehr gut besucht

Raten, mindern, mehren und wählen an der Glarner Landsgemeinde 2022 • Foto: Waldrapp

Kanton Glarus • Die Glarner Landsgemeinde hat am Sonntag, 1. Mai über 17 Traktanden befunden. Nachdem sie aufgrund der Coronavirus-Pandemie in den beiden Vorjahren gar nicht oder nur eingeschränkt stattfand, mussten nun keine Einschränkungen mehr durchgesetzt werden.

Die Traktandenliste der Landsgemeinde 2022 umfasste 17 Traktanden mit unterschiedlichen Themen über Klima, musikalische Bildung, Gastgewerbe, Finanzhaushalt bis zur Kinderbetreuung. Benjamin Mühlemann wurde zum Landammann und Kaspar Becker zum Landesstatthalter für die nächsten zwei Jahre gewählt. 

Die Stimmberechtigten sagten Nein zum neuen Gesetz über die Kantonalbank und auch zur teilweisen Aufhebung der Höchstaltersgrenze für öffentliche Ämter. Verschiedenen Klimavorlagen stimmte die Landsgemeinde zu, u. a. auch einem Memorialsantrag, welcher autofreie Sonntag im Tourismusgebiet Klöntal fordert.

Die Diskussion und alle Resultate zu den einzelnen Vorlagen sind auf der Website des Kantons Glarus publiziert (Anzeige durch Klick auf Traktandum). 

Eröffnungsrede Landsgemeinde 2022

Von Regierungsrätin Marianne Lienhard, abtretende Frau Landammann

Hochgeachteter Herr Landesstatthalter

Hochgeachtete Damen und Herren der administrativen und richterlichen Behörden

Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Die Zeichen der Zeit erkennen, tragfähige Lösungen suchen, entscheiden und handeln. So simpel kann die politische Arbeit dargestellt werden.

Die Zeiten ändern sich und mit ihr die Gesellschaft in ihrem Verhalten und mit ihren Bedürfnissen. Es ist Aufgabe der Politik, veränderte Bedürfnisse aufzunehmen und die Rahmenbedingungen für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenleben anzupassen. Gerade das System der direkten Demokratie bietet den Bürgerinnen und Bürgern eine Vielzahl von Instrumenten, mit denen politische Änderungen herbeigeführt werden können und zwar auf allen drei Staatsebenen. Auf Bundesebene können mittels Initiativen Volksabstimmungen herbeigeführt werden, im Landsgemeindekanton Glarus kann dasselbe mit einem Memorialsantrag erwirkt werden. Auch heute werden Sie über mehrere Memorialsanträge befinden können. Die Landsgemeinde ist in der Lage, über eine Vielzahl von Geschäften innert wenigen Stunden zu entscheiden und darüber hinaus über Abänderungsanträge zu raten, zu mindern und zu mehren.

Soweit die Frage erlaubt ist, ob die Landsgemeinde immer noch eine zeitgemässe Form zur Bewältigung der politischen Entscheidungen ist, antworte ich Ihnen mit einem klaren Ja. Hochvertraute, liebe Mitlandleute, wie sonst könnten Sie die Zukunft unseres Kantons direkt mitbestimmen, indem Sie einen Antrag durch Wortmeldung an Ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger stellen. Die Landsgemeinde hat in der jüngeren und älteren Vergangenheit mehrfach bewiesen, progressive Entscheide zu fällen. Sie tat dies immer dann, wenn Änderungen angezeigt waren, diese dem Landrat aber zu radikal erschienen.

Heute vor 50 Jahren waren die Frauen erstmals berechtigt, an einer Landsgemeinde teilzunehmen. Glarus war damit ab 1972 der erste Landsgemeindekanton mit Frauenbeteiligung. Doch die Gleichstellungsfrage zwischen den Geschlechtern beschäftigt uns auch 50 Jahre später noch.

Die voranschreitende demographische Entwicklung der Bevölkerung stellt eine wesentliche gesellschafts- und sozialpolitische Herausforderung dar.

Sie hat starke Auswirkungen auf unsere Sozialwerke mit dem bewährten drei-Säulen-Prinzip. Insbesondere die Gesetzgebungen über die AHV sowie diejenige über die berufliche Vorsorge verlangen nach Erneuerungen. Damit dies gelingt, bedarf es den Einbezug aller Generationen. Und es wird nur tragfähige Lösungen geben, wenn sich Frauen wie Männer, Junge und Ältere kompromissbereit einbringen.

Die heute 60-jährigen Frauen hatten nicht dieselben Möglichkeiten ihre Altersguthaben zu bilden wie ihre gleichaltrigen Männer und dennoch soll das Rentenalter für die Frauen auf 65 angehoben werden.

Das Bundesparlament ist mit dieser Ausgangslage sorgfältig umgegangen und hat für die Frauen der Übergangsgeneration Ausgleichszahlungen vorgesehen. Zur Bereinigung der AHV-Reform werden wir demnächst an die Urne gerufen. Für die soziale Gerechtigkeit ist es von Bedeutung, die Weichen für die Zukunft jetzt zu stellen.

Wir schreiben das Jahr 2022 und an den Grenzen zu Europa herrscht Krieg. Was lange für unwahrscheinlich galt, wurde leider Realität. Die Konfliktparteien sind gezwungen, ihr Handeln für den Schutz und das Wohle ihrer Bevölkerung hinter die Interessen des Krieges zu stellen.

Wenn wir uns heute auf dem Landsgemeinde-Ring versammeln, dürfen wir dies in Freiheit und im Vertrauen auf unseren Staat tun. Gedenken wir heute allen, denen dieser Schutz nicht zukommt.

Nach knapp zwei Jahren Amtszeit gebe ich heute das Landammannschwert weiter. Diese Aufgabe hat mich gefordert, aber auch mit Genugtuung und Stolz erfüllt. Für das mir entgegengebrachte Vertrauen danke ich Ihnen hochvertraute, liebe Mitlandleute ganz herzlich.

Lassen Sie uns jetzt raten, mindern und mehren in Freiheit und Verantwortung. Und so hoffen wir, dass es uns auch heute gelingt, die traktandierten Wahl- und Sachgeschäfte zum Nutzen und Gedeihen unseres Kantons zu treffen.

In diesem Sinne bitte ich für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes und erkläre die Landsgemeinde 2022 als eröffnet.

 

«Miteinander reden ist nichts anderes als die Quelle der direkten Demokratie und des Föderalismus.»

Tischrede von Bundesrätin Viola Amherd, Chefin des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), anlässlich der Landsgemeinde Glarus, Sonntag, 1. Mai 2022.

Sehr geehrter Herr Landammann
Sehr geehrte Frau Regierungsrätin, sehr geehrte Herren Regierungsräte
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident des Kantons Basel-Landschaft
Sehr geehrte Damen und Herren Regierungsräte des Kantons Baselland
Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Thomas Hefti
Sehr geehrte Damen und Herren Ständeräte

Ich freue mich sehr, als Ehrengast an Ihrer Landsgemeinde teilzunehmen. In bewegten Zeiten wie den heutigen ist mir das wichtig, weil eine Landsgemeinde einer unserer ältesten Orte der Begegnung ist, an der man seit jeher eben: die Gemeinschaft pflegt.

In solchen Momenten ist man sich näher als sonst und wird deshalb immer wieder daran erinnert, dass man miteinander reden muss.

«Miteinander reden» ist ja nichts anderes als die Quelle der direkten Demokratie und des Föderalismus.

Wir sind jeweils stolz darauf, müssen uns aber immer wieder bewusst werden, dass das nicht ein Automatismus ist, sondern dass zum «Reden» auch «Zuhören» gehört.

Das haben die letzten zwei Jahre eindrücklich und manchmal auch schmerzlich gezeigt, z.B. wenn der Respekt vor der Meinung der andern ab und zu etwas vergessen wurde. Auch dieser Respekt ist ein starker Charakterzug unserer Demokratie, häbe wer mu also Soorg!

Die Corona-Pandemie als grosses und rasch über uns hereinbrechendes Ereignis hat uns und unsere Einrichtungen in Bund, Kantonen und Gemeinden vor grosse Herausforderungen gestellt.

Wir haben früh eingestanden, dass wir Fehler machen werden und daraus Lehren ziehen wollen.

Auch die Glarner Regierung ist selbstkritisch zum Schluss gekommen, dass sie auf eine Pandemie nicht vorbereitet war, und sie will deshalb ihre Grundlagen optimieren.

Bleiben wir dran, denn wir wissen nicht, ob die Pandemie nur eine Pause einlegt!

Bei der Pandemie hat sich der Föderalismus manchmal als zu langsam erwiesen, weshalb sich wohl Änderungen aufdrängen. Wir sind uns jedoch einig, dass es nicht darum geht, das System als Ganzes in Frage zu stellen, sondern nur den Mecano zu optimieren.

Die Bevölkerung hat den vom Bundesrat und vom Parlament vorgeschlagenen Weg zwei Mal eindrücklich bestätigt, was in keinem anderen Land möglich war.

Vergessen wir deshalb nicht, dass wir Volksentscheide auch respektieren. Das gehört seit jeher zu unserem Demokratie- und Staatsverständnis.

Halten wir also am Bewährten fest!

Das gilt umso mehr, als uns die Welt gleich um die Ecke so stark erschüttert hat wie seit Generationen nicht mehr:

Wer hätte gedacht, dass sich der von meinem Departement am 24. November 2021 routinemässig vorgelegte Sicherheitspolitische Bericht genau drei Monate später in einen realen Bericht über die Situation in Europa verwandelt?

Mir wäre lieber, dem sei nicht so, aber die Passagen zu Russland lesen sich heute wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Mit dem Ukraine-Krieg sind praktisch alle im Bericht formulierten Ziele nicht mehr Abbild eines teilweise belächelten Wunschkatalogs, sondern liegen wie hinter einem Vergrösserungsglas vor uns.

Wir müssen Bedrohungen, Gefahren und Krisen früh erkennen und uns verstärkt darauf ausrichten, dass Konflikte nicht nur konventionell ausgefochten werden, sondern zunehmend hybride Formen annehmen und auch im Cyberraum geführt werden.

Davon betroffen sind neben kritischen Infrastrukturen wie die Strom- und die Energieversorgung auch grosse sowie mittlere und kleinere Unternehmen, die das Rückgrat unserer Wirtschaft und unseres Wohlstandes bilden.

Ich bin froh, dass die Glarner Regierung unsere Vorschläge für eine Meldepflicht für kritische Infrastrukturen begrüsst und darüber hinaus die Frage aufwirft, ob nicht auch Spitäler oder die Plattform für das elektronische Patientendossier als kritische Infrastrukturen zu betrachten sind.
Indem staatliche wie nichtstaatliche Akteure im Cyberraum systematisch und auf perfide Art Informationen verfälschen oder gar erfinden, beeinflussen sie die freie Meinungsbildung. Davon sind wir alle betroffen.

Wir verstehen die künftige Sicherheitspolitik im Landesinnern als Verbundaufgabe.

Wie der unselige Krieg zeigt, ist kaum davon auszugehen, dass wir nur aus eigener Kraft für die Sicherheit und Stabilität unseres Landes sorgen können.

Wir kommen also nicht darum herum, die Zusammenarbeit mit all jenen Ländern zu stärken, die unsere Werte teilen.

Mit anderen Worten: auch hier zämestaa!

Euch Glarnerinnen und Glarnern muss man ja nichts vormachen, Resilienz und Versorgungssicherheit sind seit jeher Teil eurer Geschichte:

Ihr habt eure Wirtschaft früh auf den Export ausgerichtet, und Pioniere haben früh auf die Industrialisierung gesetzt.

Krisen habt ihr dank Qualitätsprodukten, innovativer Marktforschung, einem grossen Netz an Handelsniederlassungen und nicht zuletzt dank Innovation gemeistert.

Deshalb erstaunt nicht, dass der Kanton Glarus zu den am stärksten industrialisierten Kantonen gehört.

Reden, Zuhören und Mitbestimmen an der Landsgemeinde haben auch dazu beigetragen, dass man allen Sorge trägt.

Davon zeugen das erste Fabrikgesetz der Schweiz, die früh eingeführte Alters- und Invalidenversicherung oder die erste Arbeitslosenversicherung.

Kein Wunder, hat der Glarner Regierungsrat nur Tage nach dem Angriff auf die Ukraine Hilfsgelder gesprochen und sich auf die Aufnahme von Flüchtlingen vorbereitet.

Dabei mögen eigene Erinnerungen eine Rolle gespielt haben, wurde doch das Glarnerland selbst zum Kriegsschauplatz fremder Heere und musste befreit werden.

So wie heute Frauen und Kinder aus der Ukraine zu Tausenden geflohen sind, mussten damals rund 1200 Kinder in anderen Kantonen um Unterkunft, Nahrung und Hilfe bitten.

Erlauben Sie mir zum Schluss eine freundeidgenössische Bemerkung: Mir ist zu Ohren gekommen, dass die Tourismusorganisation «Visit Glarnerland» an der Krimiserie «Wilder» Justierungen vornehmen musste, damit Bundespolizist Kägi bei Szenen im Glarnerland auch «glarnerdeutsch» spricht.

Machen Sie’s künftig wie früher und so wie die Macher des Walliserdeutschkurses «Tschugger»: Produzieren Sie alles selbst, exportieren sie es und lassen die Übersetzung andere machen.

Als Vorspann könnte sich der Slogan «ds Wort isch frii» eignen, mit dem jeweils die Landsgemeinde eröffnet wird und mit dem auch die Glarner Briefmarke im kantonalen Reigen des kürzlich lancierten Briefmarkenbogens «Mein Kanton – unsere Schweiz» glänzt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Die Landsgemeinde 2022 lockte deutlich mehr Stimmberechtigte an, als die Landsgemeinde 2021 während der Coronavirus-Pandemie • Foto: Waldrapp

 

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